Lunapark. Gereon Raths sechster Fall by Volker Kutscher

Lunapark. Gereon Raths sechster Fall by Volker Kutscher

Autor:Volker Kutscher [Kutscher, Volker]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462315820
Herausgeber: Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


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T

ruppführer Pfeiffer referierte mit eintöniger Stimme, und Rath musste gegen den Schlaf kämpfen, obwohl er eigentlich gar nicht müde war. Nun saß er also wieder in der Prinz-Albrecht-Straße und durfte den langatmigen Vorträgen der Staatspolizeikollegen lauschen. Selbst schuld, dachte er. Was gehst du auch ans Telefon. Er steckte sich eine Overstolz an, um nicht einzuschlafen.

Gräf hatte Sonntagabend in der Carmerstraße angerufen, und Rath war so unvorsichtig gewesen, den Anruf anzunehmen. Diesmal hatte er es tatsächlich darauf angelegt, das Telefon als Erster zu erreichen. Sonst überließ er das Charly oder dem Jungen, unter dem Eindruck seiner gestrigen Erlebnisse jedoch war das anders. Er traute ihr nicht mehr, er wollte wissen, wer bei ihnen anrief, ob unter den Anrufern vielleicht jemand war, mit dem sie sich heimlich traf. Charly hatte verwundert aufgeschaut und sich dann wieder ihrem Buch zugewandt.

Es war ein dienstliches Telefonat, auch wenn Gräf seinem Anruf einen ungezwungenen, privaten, beinahe freundschaftlichen Anstrich gegeben hatte. Sich so ganz nebenbei nach den Fortschritten erkundigte, die Rath mit seiner Fordliste erzielt habe. Der Fahrzeughalterüberprüfung, wie Gräf das nannte. Dass die bislang noch keine Erfolge vorzeigen konnte, hatte er hingenommen. Und Rath gleichwohl für den Montagmorgen in die Prinz-Albrecht-Straße zitiert.

»Wir müssen uns alle wieder auf den aktuellen Stand bringen«, hatte er gesagt.

Und genau den durfte Rath sich jetzt anhören. Neue Informationen zur Gruppe Wolff, die in den vergangenen Tagen überall in der Stadt neue Spuren hinterlassen hatte. Parolen an den Wänden des Gleimtunnels, der jeden Morgen von Tausenden Arbeitern passiert wurde, Parolen in Siemensstadt und in Schöneberg, jeweils an Orten, die das Heer der Proleten tagtäglich passierte. ARBEITER WEHRT EUCH! TOD DEN HITLERFASCHISTEN! Diesmal hatten sie die Parole in Schönschrift zu Ende schreiben können. Die Fotos hatte Gräf mit Heftzwecken an einem großen Stadtplan befestigt, jeweils dort, wo sie aufgenommen worden waren. Ein Muster war dennoch nicht zu erkennen. Ganz egal, ob die Parolen vor zwei Monaten, zwei Wochen oder zwei Tagen gemalt worden waren: Sie waren in jeder Ecke der Stadt zu finden, überall, wo es Arbeiter gab. Nur die gutbürgerlichen Wohngegenden und Villenviertel blieben ausgespart.

Über dem Stadtplan thronten die Porträts von sechs Männern, als handele es sich bei ihnen um die Herrscher von Berlin: Gregor Wolff und seine Leute, zudem der arme Walter Spindler, den die Stapo nun offensichtlich auch zur Gruppe Wolff zählte. Ein Konterfei von Leo Juretzka konnte Rath glücklicherweise nicht entdecken.

Dass die Gruppe Wolff neue Parolen hinterlassen hatte, sorgte für Nervosität in der Sonderkommission, diese Tatsache schien Gräf und seine Stapoleute mehr zu beschäftigen als die Todesfälle. Was Rath wiederum beruhigte.

Als ein Erkennungsdienstler Pfeiffer mit seinem Vortrag ablöste und anfing, sich über graphologische und chemische Einzelheiten zu den neuen Parolen auszulassen, hörte Rath nicht mehr hin. Seine Gedanken drehten sich um Charly. Um ihre Geheimniskrämerei.

War nur kurz mit dem Hund draußen.

Ihre Lüge hatte ihn stärker getroffen, als er das für möglich gehalten hätte. Und das unschuldige, lächelnde Gesicht, das sie dazu aufgesetzt hatte.

Aber wozu war er Kriminalist? Er würde schon herausbekommen, mit wem sie sich gestern …

»… nicht wahr, Gereon?«

Rath blickte in die Runde, alle Augen waren auf ihn gerichtet.



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